Moderato cantabile (zum Buch von Marguerite Duras)

Interviews mit den Teilnehmern

Anna Wickenhauser

– Die Frau sitzt mit dem Rücken zum Eingang, er sitzt ihr gegenüber und beobachtet, was passiert.
– Wenn Anne kommt, hat sie meist Gegenwind und sie hat Sonne im Gesicht, ganz viel Sonne.
– Die beiden Häuser bilden eine Art Tor, durch das Anne und ihr Sohn den Schauplatz des Geschehens betreten.

Es gibt eigentlich nur zwei Häuser, das Klavierzimmerhaus und das Haus mit dem Café, rundherum gibt es nichts. Die beiden Häuser stehen einander gegenüber, das Haus mit dem Café auf der Stadtseite, das Klavierzimmerhaus steht als einziges Gebäude direkt am Meer. Die beiden Häuser bilden eine Art Tor, durch das Anne und ihr Sohn immer wieder gehen und damit quasi den Schauplatz des Geschehens betreten.
Das Klavierzimmerhaus hat einen fünfeckigen Grundriss. Ein solches Haus habe ich noch nie gesehen, aber es schaut nun einmal so aus. Durch das Treppenhaus geht man einige Stockwerke hinauf in den vierten Stock. Es ist ein bisschen wie in einem Turm. Das Klavierzimmer hat eine räumliche Qualität, nämlich die Aussicht auf das Meer, das Meeresrauschen. Im Buch heißt es ja immer wieder, dass die Musik vom Rauschen des Meers unterstützt oder unterbrochen wird. Das Meer ist in diesem Raum sehr präsent, auch die Brise, der Wind und die Sonne. Um das Haus herum verläuft ein Steg, davor stehen ein paar Tische, an denen Leute sitzen.
Im Zimmer, zur Wand hin gerichtet, sitzt der Knabe am Klavier, die Klavierlehrerin sitzt daneben. Die Mutter des Knaben steht am Fenster. Als der Mord passiert, laufen alle zum Fenster. Und hier, genau gegenüber, ist es passiert: Da ist das Café – ich zeichne es auf, wie ich es in Erinnerung habe und mache anschließend Ergänzungen –, und hier ist die Bar, hinter der die Dame mit dem Strickzeug sitzt. Der Mord passierte neben der Bar. In dieser Nische lag die tote Frau, daneben stand der Mann. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass der Mord so wichtig ist für dieses Café. Die Leute tun so, als hätte es ihn nicht gegeben. Zwar wird darüber geredet, aber vor Ort ist er nicht mehr so präsent.

Der Weg, den Anne vom Café oder vom Klavierunterricht nach Hause geht, der Boulevard de la mer, ist extrem lang. Ihr Haus ist ein sehr schönes Haus mit einem Zaun rundherum. Das Meer ist hier schon ein bisschen weiter weg. Ich habe ein sehr hellblaues, ein rosarot-weißes Bild von diesem Ort. Das Haus ist weiß, ein sehr modernes Haus, fast so wie so eine Kiste.

Wo Chauvin herkommt oder hingeht, weiß ich nicht. Er taucht immer wieder irgendwo aus der Stadt auf, eher aus der Werftenstadt-Ecke. Dieser Werftenbereich ist sehr braun und orange. Wenn die Frau, Anne, kommt, hat sie meist Gegenwind und geht gegen die Sonne. Das ist vom Bild her sehr wichtig, dass sie Sonne im Gesicht hat; ganz viel Sonne, obwohl da nur dunkle Häuser sind und alles einen trostlosen, wenig einladenden Eindruck macht.

Die Arbeiter kommen komischerweise immer von da vorne, obwohl es da ja eigentlich nur Meer gibt. Sie reden zwar immer von der Stadt, aber die gibt’s irgendwie nicht. Es gibt auch noch andere Bilder, wo es dann heißt, dass die Stadt im Hinterland von diesem Café ist, eine relativ kleine Stadt, glaube ich, und dort gibt es diese Fabriken, die nichts mit dem Werftenbereich zu tun haben – Fabriksgebäude, von denen Rauch aufsteigt. Also, wenn man das im Schnitt anschaut, gibt es das hügelige Hinterland, dann die Stadt, aus dem dieses Haus mit dem Café wie ein weißer Block herauswächst, dann das Meer, das Wasser.

Das Café hat mindestens zwei, wahrscheinlich vier Fenster und eine Doppelflügeltür direkt gegenüber der Bar. Hier treffen einander Anne und Chauvin, um Wein zu trinken. Es gibt genug Tische, die, wenn die Arbeiter kommen, rammelvoll sind. Sonst ist es offen und leer. Die beiden sitzen Zugleich abgeschieden und auch wieder nicht, später setzen sie sich in den anliegenden Raum, wo mehr Diskretion herrscht, weil sie die Abgeschiedenheit ihrer Zweisamkeit suchen. Anne sitzt immer mit dem Rücken zum Eingang, Chauvin sitzt ihr gegenüber und beobachtet, was passiert, wie die Männer hereinkommen, wie sie natürlich geradewegs an die Bar gehen und sich später im Café verteilen.

Es ist ein relativ großes Café mit derbem Holzboden, dunkelbraunen Stühlen und runden Tischen, an denen maximal vier Leute sitzen können. Das Licht über der Bar blendet. Räumlich ist es nicht besonders spannend, nicht gemütlich, nicht heimelig. Wenn man reinkommt, sieht man sofort alles. Freundlich ist es, wenn abends die Sonne hereinstrahlt. Es muss noch ein weiteres Fenster da sein, weil Duras auch drüber schreibt, dass Anne im roten Sonnenuntergang sitzt, während sie von der Wirtin und Chauvin beobachtet wird. Die Wirtin sitzt in ihrer Bar, beobachtet alles und bewegt sich kaum mit ihrem roten Strickzeug. Sie schaut die beiden an und weiß immer, wann sie Wein brauchen und wann nicht. Der Ort ist trostlos, aber trotzdem okay. Alles an diesem Café – es ist mehr so eine, na ja, Spelunke, ein Beisl – ist einfach. Es ist ein ganz normaler Ort. Alles ist alltäglich, es gibt nichts Überkandideltes. Vielleicht ist es für Anne der Ort, wo sie ganz normal sein kann.