Moderato cantabile (zum Buch von Marguerite Duras)

Interviews mit den Teilnehmern

Andrea Sodomka

– Das Licht im Café kenne ich aus englischen Pubs. Draußen ist Sonnenlicht, drinnen ist alles dunkel.
– Zuerst gibt es noch den offenen, schweifenden Blick, dann wird es hermetisch.
– Es gibt einen Teppich. Ich sehe ihn nicht, aber ich höre ihn.

Das Klavierzimmer ist zuerst gar nicht vorhanden, sondern besteht nur aus einem Fenster. Alles ist nach außen gewandt. Draußen sind Stimmen, ein Zeitfluss, Leben, da passiert etwas. Es ist wie ein Hörspiel. Die Personen, die drinnen sind, schauen sich praktisch selber zu. Eigentlich sind sie draußen, sie erleben das, was draußen ist. Es ist sehr filmisch: Du hast eine Handlung, die du nicht sehen kannst und die dadurch unwahrscheinlich fokussiert wird.

In dieser Zeitverknüpfung ändern sich die Räume ständig. Das Klavierzimmer besteht zuerst nur aus einem Fenster, das Café nur aus einer Tür, sonst ist es schwarz. Wenn Anne hinuntergeht und sieht, was passiert ist, gibt es noch kein Innen. Sie sieht die Menschenmenge, hört die Schreie und weiß sofort, was passiert ist. Sie selbst ist die Person, die da liegt. Erst von dem Moment an, wenn der Mörder herauskommt, weil er von der Polizei abgeführt wird, entsteht ein Innen.

Zuerst ist da die Leiche. Es sind keine Möbel im Raum, aber jetzt gibt es bereits eine Tür und ein Fenster. Das Licht von der Tür fällt auf die Leiche. Und dann ist da diese Theke, hier die Tür und das Fenster. Vielleicht sind es auch zwei Fenster, das weiß ich nicht genau. Anne und Chauvin sitzen anfangs im vorderen Bereich. Im weiteren Verlauf der Handlung gelangen sie immer weiter in den hinteren Teil des Raumes.

Der Blick nach draußen ist am Anfang noch gegeben. Manchmal taucht dort das Kind auf, Anne sieht, wie es draußen spielt. Wenn sie später mit Chauvin hinten sitzt, sieht er die Arbeiter nicht, die ihn ja kennen. Er sieht überhaupt nichts mehr, alles wird immer hermetischer. Zuerst gibt es noch den offenen, schweifenden Blick, dann wird es hermetisch.

Das Licht im Café kenne ich aus englischen Pubs. Draußen hast du Sonnenlicht, drinnen ist alles dunkel. Es kommt nicht wirklich Licht durch die Fenster, aber du siehst, dass es draußen hell ist und dann gibt es noch diese kleinen Lampen, Lichtinseln, die immer eingeschaltet sind. Zuerst gibt es Tageslicht, aber bereits mit einer Ahnung von Dämmerung. Gegen Ende der Erzählung wird es dunkler, denn Anne geht ja auch immer später hin.
Im Musikzimmer gibt es dieses Klavier, im Hintergrund sitzt die Mutter. Im Laufe der Szenerien ändert sich der Grundriss. Dieses Zimmer hat einen Dielenboden und es ist sehr hell. Man schaut ins Fenster, es ist ganz heller Sonnenschein und deshalb sieht man nichts. Und da sind Grünpflanzen – es gibt so ein klimatisches Gefühl dafür. Es ist kühl. Und es ist leise. Also gibt es einen Teppich. Ich sehe ihn nicht, aber ich höre ihn. Ich sehe ihn nicht, weil ich eigentlich nicht auf den Boden schaue.

Anne kommt ins Café und sieht, was passiert ist. Sie hat diese Szene doppelt erlebt, war gleichzeitig im Klavierzimmer und im Café. Ich glaube, diese erste Szene ist ganz wichtig, weil ein Zeitfaden zurückkommt, der noch gar nicht begonnen hat. Es ist genau diese horizontale Zeit, diese Zeitfläche, die weder Beginn noch Ende hat. Irgendwo schneidet diese Realität die ganz realistisch beschriebene Szene mit dem Klavierspielen, aber nicht an einem dezidierten Anfangs- oder Endpunkt. Da ist dieser Schnitt, und solche Schnitte tauchen immer wieder auf.

Ich habe den Mörder zuerst in Kombination mit der Leiche gesehen. Aber es stimmt natürlich nicht mehr zusammen in diesem zeithorizontalen Gebilde, in dem beide Personen, die Leiche und Anne, ein und dieselbe Person sind und zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten verweilen. Vielleicht ist das gar nicht so gemeint, aber für mich ist das in dieser Erzählung, in dieser Struktur das einzig Logische.

Ich habe kein Bild von der Frau, und zwar aus dem Grund, weil sie für ein kleinstadttypisches Frauenschicksal steht. Es gibt ja sehr viele, die dieses Kleinstadtleben geführt haben oder noch führen, und die eben in einem Schicksal drinnen sind, das ihnen bestimmte Verhaltensregeln auferlegt, die sie nicht brechen dürfen. In dem Moment, wo sie ausbrechen und sich anders verhalten, werden sie aus dem System hinausgeworfen.
Es sind sehr schöne Frauen, die eine Form von Schönheit haben, die man gut für ein Leben mit einem reichen Fabrikanten einsetzen kann. Es ist natürlich klar, dass es hier um eine bestimmte Zeit geht, um ein ‚Kleinstadt in den 50er Jahren-Phänomen’; aber dieses Kleinstadtphänomen hat sich nicht wesentlich geändert, und wenn, dann nur in äußeren Zeichen, aber nicht wirklich vom Inhalt her.