Moderato cantabile (zum Buch von Marguerite Duras)

Interviews mit den Teilnehmern

Manfred Schuh

– Ich bin immer Teil der Geschichte, ich sitze da immer irgendwo.
– Es gibt keinen Flügel, nur ein Pianino, das ist schon irgendwie schandhaft.
– Diese Tür ist ein Problem, denn die beiden können ja das Kind sehen, das draußen umherhüpft.

Ich bin immer Teil der Geschichte, ich sitze da immer irgendwo. Die Vorstellung, die ich von dem Café habe, gefällt mir nicht. Es ist kein Café, eher eine Art Wirtshausbude, kein Wirtshaus, eher eine Mischung aus Wirtshaus und Bude. Das Wesentliche, das ganz stark ist bei mir, das Hauptteil in diesem Raum ist die Bar, die Front der Bar, hinter der die Wirtin strickt. Dann gibt es den Tisch, an dem Anne und Chauvin sitzen. Die Tür ist rechts davon, da fällt das Licht herein.

Es ist alles nur sehr vage. Da könnte z.B. ein Fenster sein, da könnte ein Tisch sein, aber dann verschwimmen die auch sofort wieder. Es gibt keine Kanten in diesem Raum, vielleicht dass hier eine Kante erscheinen könnte. Das Ganze ist unheimlich leer, es gibt ein kleines Regal, sonst gibt es nichts. Alles ist sehr provisorisch. Es gibt einen Vorhang. Vom Tisch habe ich keine Vorstellung, nur dass er nicht an der Wand steht und dass kein Sessel dazwischen Platz hat.

Die Stühle sind ursimpel. Es gibt auch andere, aber nur einen mit weißem Resopal und Gummi, nicht Gummi, sondern Schnüre. Die anderen Stühle und Tische, eckige Tische, sind aus beschichtetem Holz, aus Holzimmitation. Auch die Bar ist beschichtet mit einem Touch von Marmor, das hat so eine eigene Witzigkeit ... – alles ist rosa, leicht bräunlich.
Es sind nicht wirklich Fenster da, eher Luken, winzige Fenster, durch die zwar Licht hereinfällt, durch die man aber nicht hinausschauen kann. Sie gehen in einen Lichthof hinaus, in einen schrecklichen Lichthof. Und da gibt es noch etwas, genau, aber was ist das?

Es ist eine Geschichte mit der Tür. Diese Tür ist ein Problem, denn die beiden können ja das Kind sehen, das draußen umherhüpft. Hier ist graues Zeug und da ist es noch am hellsten. Die ganze Bar lebt vom Licht, das durch Tür kommt. Hier muss noch etwas anderes sein, vielleicht ein kleines Fenster. Direktes Sonnenlicht dringt aber nicht in den Raum. Es gibt nur von anderen Gebäuden reflektiertes Licht, keine Sonnenstrahlen, die sich hier irgendwo niederschlagen könnten.

Da kommen sie herein, Anne und der Mann, die ganze Aktionsfläche ist hier, neben der Tür, im vorderen Bereich des Cafés. Sie gehen direkt zu ihren Plätzen. Der Mann sieht auf die alte Dame, die Wirtin, die Strickerin. Die Hafenarbeiter schmuggeln sich zur Tür herein, aber sie sind kaum wahrzunehmen. Sie sind anwesend, aber sie nehmen kaum Raum in diesem Geschehen ein. Vielleicht sind es drei, doch sie kommen nie bis zu den beiden hin.

Ich habe kein spezielles Bild von der Toten, auch nicht von ihrem Mörder. Wenn ich jetzt von oben hinschaue, sind die Räume komischerweise verschieden: Der Raum des Attentats, der Todesteil, wo sie liegt und er sie auf den blutenden Mund küsst, ist anders als der, wo Anne und der Mann sich immer treffen. Bei dieser Mordszene ist ganz stark der Plafond im Bild: Plafond und Boden mit der Leiche und viel Leute rundum, da sieht man nichts mehr vom Rest des Cafes.
Für das Musikzimmer brauche ich ein Lineal. Versuchen wir, den Raum in ein Verhältnis zu bringen. Lang ist er, und er hat abgerundete Ecken. Es gibt keinen Flügel, nur ein Pianino, das ist schon irgendwie schandhaft. Der Knabe sitzt ein bisschen alleine, der arme, die Mama hält sich zurück, die Lehrerin mischt sich umso mehr ein. Die streift da vorbei, an seiner Schulter.

Hier an der Ecke muss irgendetwas abgeschnitten sein. Es wird da schon irgendwas sein. Kann sein, dass da ein kleines Tischlein steht. Es ist da etwas, und es gibt auch einen Vorhang.
Was das Alter betrifft, würde ich Anne auf vierunddreißig, fünfunddreißig schätzen. Der Sohn ist sieben, hat dunkelbraunes Haar und dunkelbraune Augen, ein etwas liebliches, weiches, knabenhaftes Kind. Ich stelle ihn mir mit einem Seitenscheitel vor, mit einer leichten Welle vorne und einem leichten Anzug; einem dunklen, leichten Anzug und weißem Hemd.
Der Mann ist mir ganz fremd. Der ist fast wie ein Geist – mir ist jetzt aufgefallen, dass er einen Namen hatte –, aber er kommt mir überhaupt nicht wie eine Person vor. Er ist nicht sehr markant, nicht so, dass man ihn sich wirklich vorstellen könnte. Alles an ihm ist grau oder beige, o ja, beige könnte ich ihn mir vorstellen, in einem beigem Mantel, einem dünnen beigen Ballonmantel.

Es gibt nicht wirklich eine Beziehung zwischen den beiden. Es ist so ein Dazwischen. Der Mann ist jemand, dem man sich anvertraut, aber nicht sehr tief. Man kann sich vorstellen, dass man sich durch ihn töten lassen könnte. Es hat ein bisschen was von einem sachlichen Tod, kein Killerinstinkt, kein Liebender, der leidend seine Geliebte umbringt, gar nichts. Es hat etwas unheimlich Korrektes, Unprätentiöses, es ist fast wie ein Unfall.