Moderato cantabile (zum Buch von Marguerite Duras)

Interviews mit den Teilnehmern

Christiane Meyer-Stoll

– Ich habe dieses Musikzimmer sehr stark als einen Tonraum erlebt, die Töne des Klaviers durchmischen sich mit Schiffstönen.
– Wenn die Frau den Mann einmal anschaut, spiegelt sich die untergehende Sonne auf seinem Gesicht.
– Das Hafencafé stelle ich mir als einen schlichten, einfachen Bau vor, eher wie eine Baracke aus Holz.

Wenn ich versuche, mir dieses Musikzimmer vorzustellen, gibt es nur zwei Ecken. Ich habe das Gefühl, dass es aus einer Polarität heraus entsteht. Es ist kein geschlossener Raum, auch wenn es ein enger Raum ist. Es gibt nur diese eine Ecke, wo die Musiklehrerin und das Kind sich aufhalten. Da ist das Klavier, kein Flügel, das ein bisschen an die Wand gedrückt ist, genau wie das Kind von der Lehrerin an die Wand gedrückt wird. Die Lehrerin braucht viel Raum, sie erdrückt und erstickt fast alles. In der anderen Ecke sitzt die Mutter. Sie ist zwar in dieser Achse mit der Lehrerin und dem Kind, es besteht aber keine wirkliche Verbindung.

Wenn man in das Klavierzimmer tritt, erscheinen die Fenster groß. Sie könnten viel Licht hereinlassen, aber es gibt viel Vorhang, schwere, dunkle Samtvorhänge. Sehr wichtig ist dieses von oben nach unten Schauen. Aber eigentlich gibt es diesen direkten Blick hinaus in meiner Vorstellung nicht, es ist eine Strecke mit einer Tonverbindung. Ich habe dieses Musikzimmer sehr stark als einen Tonraum erlebt, wo sich die Töne des Klaviers mit Schiffstönen durchmischen. Die Geräusche des Hafens spielen herein, man hört das Klirren der Gläser. Wenn man aus dem Fenster schauen würde, könnte man das alles sehen. Diese dicke Klavierlehrerin verstellt aber den Blick, der Kontakt nach außen funktioniert nur über das Hören.

Vom Haus mit dem Musikzimmer gibt es schräg hinüber einen Blickbezug zum Haus mit dem Café. Es ist eine Hafenkneipe, in die Arbeiter aus der Gegend auf einen Kaffee gehen. Dort fällt dem Paar die untergehende Sonne ins Gesicht. Die Sonne finde ich insgesamt sehr wichtig. Dieses Spiel der Sonne, ihr Vergehen, wenn der Tag zu Ende geht – das ist für mich eine ganz wichtige Metapher, die im Roman immer wieder auftaucht.
Das Hafencafé stelle ich mir als einen schlichten, einfachen Bau vor, eher wie eine Baracke aus Holz. Man geht zwei Stufen hinunter. Direkt gegenüber vom Eingang ist eine hohe Theke, dahinter befindet sich der niedrigere Bereich, in dem die Wirtin arbeitet. Sie hat einen hohen geflochtenen Stuhl, auf dessen Sprossen sie ihre Füße aufstützen kann. Dort strickt sie und von diesem Platz aus kann sie nach draußen blicken und behält Zugleich den Überblick über das Lokal.

Komischerweise ist für mich wichtig, dass es im Café immer weiter in die Tiefe hinabgeht. Man geht durch die Schenke und dann noch einmal ein Stück tiefer, wie in die Unterwelt hinein. Alles ist verraucht, aber weil es warm ist, sind Türen und Fenster offen und es ist auch wieder sehr luftig. Es gibt einfache Tische, um die immer vier Stühle angeordnet sind. Ein paar davon reichen in den hinteren Teil des Raumes, wo Anne und Chauvin sich öfters hinsetzen. Irgendwie müsste sich der Raum zur Ecke hin noch weiter verengen, wie wenn da noch einmal eine Stufe wäre und es noch einmal ein Stück hinunterginge.

Ich stelle mir vor, dass Anne und Chauvin an einem Ecktisch sitzen, von dem aus sie den Blick nach draußen haben. Die Männer, die hereinkommen, schauen die beiden ja sofort an, also muss es ein relativ gut überschaubarer Raum sein. Es ist nicht wirklich ein sauberer Ort, aber die Wirtin achtet darauf, dass er gepflegt ist. Sehr wichtig ist der Lichteinfall, denn wenn die Frau den Mann einmal anschaut, spiegelt sich die untergehende Sonne auf seinem Gesicht. Es ist relativ viel Licht im Raum, wobei es in den vorderen Reihen lichter ist. Das Licht verändert sich. Es gibt dieses rötliche Sonnenuntergangslicht, wo alle Konturen stärker, perspektivischer werden, das Licht die Dinge verzaubert und erwärmt, golden macht – das passiert hier ganz stark. Es ist eine Abendsituation. Später kommt unangenehmes Neonlicht, durch das man fast ausgeblendet wird. Das Licht ist über der Bar und verliert sich in den Raum hinein.

Der Mord ist im vorderen Bereich des Cafés präsent. Ich sehe die Tote aus dem Blick des Täters. Ich habe ein Bild im Kopf, wie dieser Mann sich an sie schlingt. Sie ist tot, wird kalt, und es ist, als wollte er die letzte Wärme ihres Körpers in sich hineinziehen. Da läuft so ein inneres Drama ab zwischen den beiden, eine ungeheure Verstricktheit zwischen Täter und Opfer, sodass während dieser Zeit nicht viel Umfeld zu sehen ist. Es ist nur erstaunlich, dass dies alles an einem öffentlichen Platz geschieht.
Es ist ein ganz regelmäßiger Tagesablauf in diesem Café. Die Wirtin sitzt da. beobachtet sehr genau und hat den Blick immer wieder auf dieses ungleiche Paar gerichtet. Sie ist nicht glücklich darüber, wahrscheinlich widerspricht es ihren moralischen Gesetzen. Sie ist so etwas wie eine Glucke. Es gibt überall Aufpasser, dort die Lehrerin, hier die Wirtin, überall herrscht sozialer Druck. Dieser Mann, Chauvin, hat für mich kein Gesicht und auch Anne hat keines, zumindest habe ich keine konkrete Vorstellung davon. Der Mann ist ziemlich offen und hat keine Angst vor der Konfrontation mit der Wirtin, wohingegen Anne dieser Konfrontation nicht wirklich standhalten kann.