Fotografien und Videoarbeiten

Hohenzollerndamm, Video, Berlin, 1999

Rhythmus

Autobahnen und Straßen erscheinen als in den Landschaftsraum geschnittene Bewegungsvektoren; vor allem in der Stadt prägt das Fließen des Verkehrs den Rhythmus des urbanen Raumes. Siegrun Appelt hat den Berliner Hohenzollerndamm von einer Brücke mit Blick auf eine Unterführung aus gefilmt. Streng zentralperspektivisch aufgenommen, zeigt ihr Video die monotone Fortbewegung des Verkehrs, der sich in gegenläufiger Richtung auf die Kamera zu und von ihr weg bewegt. Die Geschwindigkeit der Autos ist gleich bleibend, der Strom der Fahrzeuge reißt nicht ab. Nur ab und zu läuft ein Passant auf dem Weg zur U-Bahn an der Kamera vorbei, auch er eher Richtungsvektor als Individium. Das filmische Bild teilt sich in zwei Schichten – Straße und Himmel –, und wird auch kompositorisch in horizontale und vertikale Momente gegliedert. Auf der Tonspur synthetisieren sich die Geräusche der Autos zu einem stetigen Sound, in dem das Nahe und Ferne, das auf die Kamera Zufahrende und sich von ihr entfernende Geräusch der Motoren einen eigenen Rhytmus generiert, eine Klangspur aus Fahrgeräuschen, die selbst in der urbanen Landschaft eigenartig fremd erscheint.

Während Appelt in früheren Videos den Blick aus der Bewegung heraus auf den Raum gerichtet hat und die am Fenster der Eisenbahn vorbeiziehende Landschaft in ihrer fragmentierten Sichtbarkeit fixiert hat, blickt sie hier aus statischer Perspektive auf einen in Bewegung befindlichen Raum. In beiden Fällen ist es jedoch die apparative Mechanik der Kamera, die innerhalb einer vorher festgelegten Ordnung das Bild bestimmt. Einmal auf einen bestimmten Fokus eingestellt, wird das filmische Bild im self-editing der Apparatur allein von der kalkulierbaren Aleartorik des vor der Kamera Stattfindenden bestimmt. Der Hohenzollerndamm zählt zu Berlins am dichtesten befahrenen Straßen. Siegrun Appelts gleichnamiges Video zeigt jedoch eine eher unspezifische Situation – eine zweispurige Straße, umrahmt von mehrstöckigen Häusern. Es ist eine bewusst optische Ortlosigkeit, die der gewachsenen Mobilität und Beschleunigung Rechnung trägt. Das meint nicht den Verlust der sinnlichen Erfahrung von Räumen, schärft in seiner unspektakulären Erscheinung aber den Blick für das Akzidentelle.

(Vanessa J. Müller in: NON-PLACES, Frankfurter Kunstverein 2001)