Arbeiten mit Licht und Energie

44 kW, Lichttage Winterthur, 2007

Fühlbares Licht.
Siegrun Appelts Lichtinstallation 44 kW in Winterthur

„Wir werden uns an dem Ort treffen, wo keine Dunkelheit herrscht“.(1) Diese, einen vermeintlichen Glückszustand prophezeiende Aussage durchzieht George Orwells dystopischen Roman 1984 wie ein roter Faden. Er spielt dabei mit einer tradierten positiven Lichtmetaphorik, nach der Licht, also das Helle, gut ist und das Dunkel schlecht, respektive böse.(2) Der angekündigte, immer helle Ort entpuppt sich im Laufe der Handlung jedoch als Folterstätte. Auch der Beginn des Romans, der die Handlung an einem Apriltag einsetzen lässt, ist nicht nur deshalb merkwürdig, weil die Uhr dreizehn schlägt, sondern auch, weil es ein „strahlend-kalter“ Tag ist, was eine auf die Eigenschaft des wärmenden Sonnenlichts bezogene Paradoxie darstellt, die in der optimistischen Erwartungshaltung bezüglich des Ortes, an dem keine Dunkelheit herrscht, eine Parallele findet.(3) Orwells verwendete Lichtmetaphorik, die bis in die Antike zu Platos Sonnengleichnis zurückreicht, spielt nicht zuletzt auch im Christentum eine enorme Rolle. So endet beispielsweise die Offenbarung des Johannes mit der Hoffnung auf eine Welt, in der es „keine Nacht“ mehr geben wird.(4) Das Neue Testament meint aber ein anderes, ein göttliches Licht, das nicht mit dem elektromagnetischen Licht der Gestirne identisch ist. Denn schon in der Genesis fällt auf, dass Gott bereits am ersten Tag der Schöpfung „fiat lux“ sprach, aber erst am vierten Tag Sonne, Mond und Sterne, also das uns bekannte siderische Licht erschaffen hat.(5) Beschränken wir uns auf den kleinen, den für Menschen sichtbaren elektromagnetischen Strahlungsbereich von etwa 380 – 780 nm, so ist die Verheißung einer omnipräsenten wie persistenten Lichtemission alles andere als gut und der Widerspruch zur ausschließlich positiven antiken Metaphorik nur dadurch begründbar, dass es weder zu Platos noch zu biblischer Zeit künstliche Lichtquellen gegeben hat, die auch nur im Entferntesten die üblen Auswirkungen permanenten Lichts ahnen ließen. Negative Bedeutung bekam das Licht erst durch die menschliche Simulation und die anschließende weitreichende Substitution des Sonnenlichts durch elektrisches Licht im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert des Lichts. Die sich ins Negative verkehrende Verwendungen des Lichts geht heute soweit, dass mit Licht gefoltert wird: das psychisch wie physisch quälende Ausgeliefertsein einer ständigen Lichtquelle als ein Mittel der euphemistisch bezeichneten weißen Folter. Licht ist gut, und Dunkel ist gut. Nur in dieser natürlichen Dualität ist unter physio- und psychologischen Aspekten Heil zu finden. Nicht nur für Menschen gilt dies, sondern auch für Tiere.
Die österreichische Künstlerin Siegrun Appelt, die bereits ähnliche Lichtinstallationen am Kunsthaus Bregenz, am ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe oder auch an der Schirn Kunsthalle in Frankfurt realisierte, hat im Rahmen der Internationalen Lichttage Winterthur die Rathauspassage mit 22 Scheinwerfern ausgestattet, die zusammen eine Leistung von 44 Kilowatt aufnehmen, woraus sich auch der Titel der Arbeit ergibt. Die Scheinwerfer richten ihren Lichtstrahl auf das Zentrum des Innenhofes, wo etwa 150 000 Lux erreicht werden, also ein Vielfaches gegenüber den Lichtverhältnissen beispielsweise eines bewölkten Sommertages. Appelt benutzt Bilder und Beispiele, um den abstrakten Lichtwerten etwas Greifbares zu verleihen, einen Maßstab zu geben. So entspricht etwa die verwendete Lichtmenge ihrer aktuellen Installation ungefähr einem Fünftel des Energieverbrauchs, der zur Beleuchtung eines Fußballstadions notwendig ist, oder ca. 125 Metern innerstädtischer Straßenbeleuchtung inklusive Schaufensterillumination. Bedenkt man darüber hinaus, dass nur etwa 43% der verbrauchten Energie der Scheinwerfer in sichtbares Licht umgewandelt, somit mehr als die Hälfte des Stroms in nicht nutzbare Wärme transformiert wird, so verdeutlicht sich auch ein ökologischer Aspekt in den Lichtinstallationen Siegrun Appelts.
Der Künstlerin geht es darüber hinaus auch um die sozialen, mithin kulturellen Verknüpfungen ihrer Arbeiten mit dem Medium Licht. Demzufolge konzentriert sie das Licht nicht allein in dem Innenhof der Rathauspassage, der zugleich als überdachte Durchwegung dient, um das Licht in seinen materiellen Grundbedingungen und Auswirkungen erfahrbar zu machen. Für fünfzehn Minuten pro Stunde wird das Licht in dem Innenhof ausgeschaltet und die Beleuchtung der schräg gegenüberliegenden Fassade des Stadthauses angeschaltet. Nach einer Viertelstunde erlischt es dort und kehrt an den vorherigen Ort zurück. Die Fassade wird wieder in Dunkelheit versetzt und dem öffentlichen Bewusstsein symbolisch entzogen. Das Licht erhält durch seinen wechselnden Einsatz auch eine politische Dimension, das über die nächtliche Fokussierung die Prioritäten des öffentlichen Interesses festlegt und diese als auch die grundsätzliche Verwendung von nächtlicher (Fassaden-)Beleuchtung zugleich kritisch hinterfragt.
Licht ist jedoch nicht nur durch seine Permanenz belastend, sondern kann auch durch seine Intensität unangenehm werden. Während gleißend-helle Sommertage Werte bis zu 100 000 Lux erreichen können, sind bei den Lichtinstallationen Siegrun Appelts bis zu 400 000 Lux messbar. Das immaterielle Licht wird so in seiner Bedrohlichkeit erfahrbar. Einerseits wird man wie eine Motte von dem hellen, attraktiven Lichtschein angezogen, andererseits fühlt man sich wie eine Molluske im Trockenen und empfindet die extreme Lichtstrahlung als unangenehm. Die völlig überstrapazierten Augen sowie die intensive Wärmeabstrahlung lassen eine vorübergehende Photophobie aufkommen. Das hörbare Summen der Transformatoren, das die Energie, den Strom, darüber hinaus auch akustisch wahrnehmbar werden lässt, fasziniert einerseits durch seine Greifbarkeit, unterstützt andererseits aber auch das Bedürfnis der Lichtflucht.
Siegrun Appelts künstlerisches Konzept sah es bisher andernorts vor (z. B. am Kunsthaus Bregenz), den für ihre Lichtinstallationen nötigen Strombedarf bei der Beleuchtung von Denkmälern, Kirchen oder repräsentativen Gebäuden einzusparen. Da die Stadt Winterthur hinsichtlich des sparsamen nächtlichen Lichteinsatzes im öffentlichen Raum eine bemerkenswert umsichtige und verantwortungsvolle Vorreiterrolle einnimmt, wird hier die Einsparung für Appelts Installation nur symbolisch vorgenommen. Unabhängig davon ist es das Anliegen der Künstlerin, nicht nur die weltweite Energieverschwendung durch den massiven Einsatz von Licht kritisch zu reflektieren, sondern auch die Verschmutzung der Hemisphäre durch Lichtemission, die schließlich durch den Energiebedarf mit klimaschädigenden Faktoren eng verbunden ist, zu hinterfragen: „Will man dem Klimawandel etwas entgegensetzen, so muss sich auch die weit verbreitete Fassadenbeleuchtung ändern, muss zeitlich und qualitativ reduziert werden.“(6) So hat vorbildlicherweise Tschechien bereits vor fünf Jahren als erstes Land überhaupt ein Gesetz gegen die Verschmutzung der Umwelt durch Licht ratifiziert.(7)
Betrachtet man Satellitenbilder der nächtlichen Erde, so ist festzustellen, dass 99% allen nächtlichen Lichts künstlich ist.(8) Schätzungen gehen dahin, dass bis zu 50% der Lichtemissionen durch die urbane Straßenbeleuchtung verursacht werden.(9) Diese massiven nächtlichen Lichtemissionen, die vor allem von Astronomen und Ornithologen kritisiert werden, gilt es durch gezielten und sinnvollen Einsatz individuell optimaler Leuchtmittel zu reduzieren. Siegrun Appelt legt mit ihren Installationen weithin sichtbar und öffentlichkeitswirksam den Finger in die von vielen ignorierte oder noch gar nicht wahrgenommene Wunde.
„Wo viel Licht ist, ist viel Schatten, wo zuviel des Lichts ist, dort herrscht Dunkelheit“, stellt der Philosoph Peter Sloterdijk zur metaphysischen Ebene des Lichts fest.(10) Durch das Überblenden des visuellen Wahrnehmungsfeldes ist ein Erkennen des Seienden außerhalb des Lichtscheines unmöglich, es versinkt im Dunkel. Analog zu einem betriebwirtschaftlichen abnehmenden Ertragszuwachs ist ein Erkenntnisgewinn bei zunehmenden Lichtverhältnissen immer weniger gegeben, weder im gleißenden Lichtschein selbst, schon gar nicht jenseits der Lichtscheingrenze. Alles versinkt in kognitiver Dunkelheit. Der Siegeszug des künstlichen Lichts kam am Anfang des 20. Jahrhunderts einer Emanzipation von der Sonne gleich – man denke an die futuristische Oper Sieg über die Sonne von 1913, die den Triumph der Technik glorifizierte. Mittlerweile hat die Substitution des Tageslichtes durch elektrische Lichtquellen eine Hybris erreicht, die durch gezielte reduzierende Maßnahmen zurückgeschraubt werden sollte. Greift man das oben zitierte Wort von Sloterdijk auf, so ist im Umkehrschluss zu folgern: Wo weniger Licht ist, wird es heller.

(Andreas F. Beitin)


(1) George Orwell: 1984. Herbert W. Franke (Hg.), Michael Walter (Übers.). 21. Aufl., München 2001, S. 33, 126, 215.
(2) Vgl. hierzu auch: Thomas Römhild: Kunstlicht. Über die Symbolik künstlicher Beleuchtung. Frankfurt am Main u. a. 1992, S. 87.
(3) George Orwell: 1984. S. 7.
(4) Offb 21,25 und 22,5.
(5) Mose 1,3 und 1,14-19.
(6) Siegrun Appelt am 5. Juli 2007 in einem Telefongespräch gegenüber dem Autor.
(7) Mischa Christ in: 687,6 kW. Geschäftsbericht Zumtobel AG 2005/06. Zumtobel AG, Dornbirn (Hg.). Dornbirn 2006, S. 58.
(8) Ingo Günther in: Worldprocessor. Ingo Günther. CHANG shih-chieh, LIAO Jean (Ed.). Taiwan 2005, S. 59.
(9) Siehe: HYPERLINK "http://www.home.uni-osnabrueck.de/ahaenel/darksky/strasbe1.htm" http://www.home.uni-osnabrueck.de/ahaenel/darksky/strasbe1.htm (05.07.2007).
(10) Peter Sloterdijk: Lichtung und Beleuchtung. Anmerkung zur Metaphysik, Mystik und Politik des Lichts. In: Wilfried Baatz (Hg.): Gestaltung mit Licht. Ravensburg 1994, S. 25.