Arbeiten mit Licht und Energie

72 kW, Museumsquartier Wien, 2004

drehtext nr. 0594
assoziationen im streu(l)icht

1) light-awareness: ein lichtbewusstsein: eigentlich ein bewusstmachen des streulichts, der lichtsmogglocken (eine diffusion moralisierender rede bietet sich an, reflexives ökomurren streut aus).

2) die stufenlosen übergänge der unendlich vielen helligkeiten, in die wir uns hüllen, die wir ständig aussenden: die unendlich vielen schattierungen der beinahe-dunkelheiten, denen wir lichtaussendend begegnen, die wir lichtaussendend strukturieren, rhythmisieren.

3) oder: die unendlich vielen lichträume im einzigen raum der lichtlosigkeit, in der prä-bigbang-blackbox: photonischer zeitsmog, raumsmog, der sich ausbreitende smog der raumzeitlichen kontinuität, das sich ausbreitende bigbang-raumzeitkontinuum als universaler smog der völlig raumlosen, zeitlosen, kontinuumslosen nichtigkeit.

4) eine kontinuierliche wechselwirkung: das bedürfnis nach dunkelheit/dunkelheiten entwickelt sich in wechselwirkung mit der entwicklung von möglichkeiten, das bedürfnis nach licht zu befriedigen, mit immer neuem licht auf die sich entwickelnden lichtbedürfnisse zu reagieren.

5) was eine lichtarbeit von siegrun appelt alles ans licht bringt.

6) von aussen nach innen geholt, in verstärkter und stimmungs-aufhellender tageslichtqualität, im käfig, zum eigenschutz der betrachter, die womöglich mottenhaft reagieren könnten, strahlen die gebäudeanstrahler, die beleuchter von architekturalen definitionen des raums, in die streulichttonne der installation, bilden einen streulichthof. dem dichten licht, der hohen lichtstärke entspricht eine hohe metaphorische konzentration: lichtmetaphern heizen sich auf.

7) die ausgestellte konzentrierte licht- und wärmeleistung der gebäudeanstrahler erzeugt ein strom- und verstromungsbewusstsein: a current awareness: a current/light awareness für die ELECTRI-CITY wie fürs LICHTE STROMLAND, durch beziehungsweise in licht und ablicht hastende, flanierende stadtbewohner: ELECTRI-CITOYENS; am land und in den städten erscheint die LICHTLANDWIRTSCHAFT, die lichtstreuenden siedlungsformen. ELEKTRIZITATE aller bauepochen widerscheinen in täglicher nacht.

8) diffusität und verdichtung des lichts erzeugen den wunsch nach schwärze, nach einschlüpfen in beziehungsweise nach ausschlüpfen hinaus in die lichtlosigkeit, in die undurchdringliche wie widerstandslose schwärze, in der die beiden unendlichkeiten der äusseren und inneren blackbox verschmelzen: vollkommenes durchschauen vollkommener transparenz.

9) satori: erleuchtung ohne widerschein.

(Herbert J. Wimmer)

www.sonderzahl.at/_autoren.htm

 

Verdichtetes Licht

Intensität und Stärke von Licht gehen von einer minimalen Wahrnehmbarkeit bis zu einer extremen, fast schmerzhaften Konzentration. An einem bewölkten Tag im Sommer messen wir etwa 20.000 Lux, scheint jedoch die Sonne, steigt der Wert auf 100.000 Lux. In einer Vollmondnacht sind bis zu zwei Lux messbar, in einer Neumondnacht nur 0,03 Lux. Diese nüchternen Informationen vergegenwärtigen Dimensionen, die für das Verständnis von Siegrun Appelts Installation 72 kW im A9 forum transeuropa wesentlich sind. Im Rahmen dieser Arbeit, die speziell für diesen Kunstraum im Wiener Museumsquartier konzipiert wurde, setzt die Künstlerin 36 lichtstarke Thorn Mundial R Außenleuchten mit einem Lichtstrom pro Strahler von 200.000 Lumen und einer Gesamtleistung von 72 Kilowatt ein. In einem nicht zugänglichen Raum, der kaum größer als vierzig Quadratmeter ist, strahlen die auf einem Gerüst liegenden Industrieleuchten die gegenüberliegende, durchgehend weiße Wand an. Jeder Strahler hätte in rund zwanzig Metern Entfernung eine Beleuchtungsstärke von 10.000 Lux, die gesamte Installation kommt bei einem Abstand der gegenüberliegenden Wand von 3,5 Metern auf rund 400.000 Lux. Es gibt zwar derzeit keine verbindlichen Grenzwerte für elektrische, magnetische oder elektromagnetische Wechselfelder, die elektromagnetische Strahlung der Installation liegt aber ab 20 cm Entfernung zu den Leuchten unter dem empfohlenen Feldstärke-Grenzwert von 100 Mikrotesla, während der Geräuschpegel der Transformatoren 72 Dezibel erreicht.

Für die Beleuchtung eines durchschnittlichen Büros von 25m2 werden etwa 500 Watt verbraucht. Für die Beleuchtung von einem Kilometer Überlandstraße — bei einem Mastenabstand von fünfzig Metern und je einer Leuchte zu 150 Watt — werden etwa 3.000 Watt benötigt. Im Stadtgebiet steigt der Wert auf rund 5.000 Watt, da die Masten in der Regel in engerem Rhythmus gesetzt sind. Befinden wir uns in einer Einkaufsstraße mit vielen Schaufenstern und Hauseingängen, kann der Verbrauch auf über 400.000 Watt steigen. Der Energieverbrauch der Installation – es sind die 72 Kilowatt, die der Ausstellung den Namen geben – entspricht einem Drittel des Verbrauchs für die Beleuchtung eines Fußballfeldes während eines Spiels.

In Appelts Installation werden einerseits die Lichtquellen selbst, andererseits die für die Wahrnehmung von Licht notwendigen Reflektionsflächen auf kleinstem Raum konzentriert. Die Ausstellungsbesucher werden mit einer Verdichtung von Energie konfrontiert, die schmerzhafte Grenzen erreicht. Grellstes Licht, die permanent präsenten Geräusche der Transformatoren und starke Hitze rufen körperliches und psychisches Unbehagen hervor.

Es geht bei Appelts Arbeit nicht um eine Freistellung von Licht als künstlerisches Medium oder um die Eigenständigkeit des Leuchtens, der Bezug zu den Lichtquellen selbst ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit. Erst in dieser Verbindung wird die Künstlichkeit des Lichtes verdeutlicht, Wahrnehmungsgewohnheiten werden einer Prüfung unterzogen. Unsere alltägliche Wahrnehmung ist keineswegs selbstverständlich gegeben. Sie ist in hohem Maße kulturell vermittelt, ein über den Zivilisationsprozess des Menschen geformtes Kulturprodukt, das nicht natürlich vorgegeben ist. Darüber hinaus löst Licht in unter-schiedlichen Zusammensetzungen entsprechende psychische Reaktionen wie Wohlbefinden, Unruhe oder Wachsamkeit hervor.

Das menschliche Auge ist ein hochkomplexes Instrument der Wahrnehmung. Aus der Physik ist bekannt, dass sich weißes Licht in verschiedene Farben aufspalten lässt, die unterschiedliche Eigenschaften haben und beim Menschen unterschiedliche Wahrnehmungen hervorrufen. Lichtempfindliche Zäpfchen im Auge nehmen einerseits alle Farben wahr ohne sie zu unterscheiden und erlauben damit z.B. Schwarz-Weiß-Sehen im Dunkeln, andererseits ermöglichen sie bei genügend Licht die Wahrnehmung aller einzelnen Farben. Die Grenzen für diese Wahrnehmbarkeit variieren von Mensch zu Mensch. Und um die Feinjustierung dieser Grenzen geht es bei Siegrun Appelts Arbeit.
Die hier beschriebene Installation steht in direktem Zusammenhang mit der ab Oktober 2004 im Innenhof des Museumsquartiers eingerich-teten, vom MUMOK initiierten Lichtinstallation 68.719.476.736. Im Rahmen dieser Großinstallation hat Appelt die Leuchten der Installation 72 kW erneut eingesetzt, allerdings mit einem anderen Resultat. Kein statisch-verdichteter, klar definierter Lichtraum wird im Hof erzeugt, vielmehr entstehen unterschiedliche, nach einem Zufallsprinzip gesteuerte, sich permanent verändernde Lichtsituationen, die die bereits mit den Installationen 16.777.216 auf dem Raiffeisenplatz in Bludenz (2003) und 38.028.797.018.963.968 auf dem Maag-Areal in Zürich (2003) begonnene Arbeit weiterführen.

Siegrun Appelts Arbeiten drehen sich seit Jahren um Faktoren der menschlichen Wahrnehmung. Hat sie in ihren Videos von Zugfahrten die Landschaft vorbeiziehen lassen, so hat sie in den letzten Jahren ihr Augenmerk verstärkt auf ruhende Räume gelegt und sich der Quelle und Bedingung unserer Wahrnehmung, dem Licht, gewidmet. Zugleich hat ihre Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen der soge-nannten Lichtverschmutzung eingesetzt. Es geht dabei um jene Licht-glocke über Städten und Ballungsräumen, die durch das Streu- und Reflektionslicht künstlicher Beleuchtungsanlagen erzeugt wird.

Eine zu 72 kW völlig konträre Situation finden wir im Schlosspark von Eybesfeld in der Südsteiermark. Appelt hat hier eine Wegebeleuchtung entwickelt. Mit minimalem Lichteinsatz — es werden lediglich 38-Watt-Leuchtstoffröhren verwendet — und unter Vermeidung unnötigen Streulichts, werden die Fußgänger vom Licht gewissermaßen abgeholt und begleitet. Zahlreiche Tests haben gezeigt, dass auch bei dieser minimalen Lichtkonzentration eine ausreichende Beleuchtung möglich ist.
Wird in Eybesfeld eine Schärfung der Wahrnehmung durch Verknappung des (Licht-) Angebots erreicht, macht gerade die Installation 72 kW durch die Schärfe des Konzentrats unseren unkontrollierten Umgang mit Energie bewusst

(Stefania Pitscheider)

www.frauenmuseum.com