Arbeiten mit Licht

38.028.797.018.963.968, Maag Areal, Zürich, 2005-2009

38.028.797.018.963.968

Die hier besprochene Lichtinstallation mit dem Titel 38.028.797.018.963.968 auf dem Maag-Areal in Zürich ist die zweite von mittlerweile drei vergleichbaren Arbeiten von Siegrun Appelt. Die erste mit dem Titel 16.777.216 auf dem Raiffeisenplatz in Bludenz in Vorarlberg entstand 2003. Im Oktober 2004 wird 68.719.476.736 auf dem Hof des Museumsquartiers in Wien realisiert. Die Wahl der Scheinwerfer sowie die Wahl der Masten sind je nach Ort verschieden. Im Fall der Arbeit auf dem Maag-Areal in Zürich wurden die Scheinwerfer jedoch nicht an Masten angebracht, sondern an den Dachkanten verschiedener Gebäude. Gleich ist allen Installationen die Art der Schaltung nach der die Scheinwerfer einzeln angehen und erlöschen. Dies wird jeweils von einem Zufallsgenerator gesteuert. Die Anzahl der verschiedenen Kombinationen und Möglichkeiten ergeben die Titel der Lichtinstallationen.
Mit Einbruch der Dämmerung wird das An- und Ausgehen in verschiedenen Kombinationen von 55 Stück 2000 Watt starken Scheinwerfern weithin sichtbar. Verteilt über die Dachkanten der Gebäude, verändern sie das heterogene Erscheinungsbild des industriell geprägten Areals. Die Räume zwischen den Gebäuden werden verschieden wechselnd ausgeleuchtet. In das vormals produktionsbedingte, nutzungsorientierte Wegesystem treten Scheinwerferkegel, überkreuzen sich, wechseln sich ab und verschwinden abrupt wieder. Das ganze Areal, das die Beleuchtung gleichsam zusammengefasst, wird in dem wechselnden Licht zu einem neu erlebbaren Objekt der Betrachtung.
Das Maag-Areal, bis vor kurzem noch Metall verarbeitende Produktionsstätte unter anderem für riesige Zahnräder, hat sein Äußeres bisher noch kaum merklich verändert. Eine radikale Umnutzung im Inneren ist jedoch voll im Gang. In die Hallen und Büros haben alternative Produktionsstätten, Architektur- und Designbüros, eine Tanzschule, die größte schweizer Jugendkirche und vieles mehr Einzug gehalten. Dazu sind Konzert- und Veranstaltungshallen eingerichtet worden. Diese Art der Umnutzung spiegelt auf idealtypische Weise das Bild einer neuen auf Flexibilität ausgerichteten Dienstleistungsgesellschaft wieder. Doch der Hintergrund, vor dem dies geschieht, ist in seinen festen Bestandteilen noch der alte. Die wuchtige Szenerie des gesamten Areals ist ein noch immer wirksamer Geschichtsraum einer Gesellschaft, deren Lebensformen sich immer schneller wandeln. Städtebaulich wie auch architektonisch wird dies noch über lange Zeit sichtbar sein. Dieses Quartier, das früher nur von Menschen, die an der Produktion teilnahmen, frequentiert wurde, ist nun für alle möglichen neuen Interessen geöffnet worden.
Auf den ersten Blick fügt sich Siegrun Appelts Arbeit vermittelnd wie auch verbindend ein: Das Aussehen der Scheinwerfer unterscheidet sich kaum von der Beleuchtung zu früheren Zeiten der noch ursprünglichen Prodution. Auch dass das Areal bis tief in die Nacht durch die Lichtinstallation beleuchtet wird, erinnert an vormalige Zeiten, als im Schichtbetrieb auch nachts die Produktion lief. Nur der langsame, ja behäbige Wechsel der Lichtinszenierungen lässt irritieren. Lichterwechsel, schnell und aggressiv oder verspielt und farbig, wie allzu sehr bekannt sind nicht die Sache der Künstlerin. Vielmehr streng und kalt, mit hörbar technischen Geräuschen, einem Klacken und einem kurzen Rauschen, die das An und Aus der Scheinwerfer begleiten, wird man dem Licht auf dem Areal ausgesetzt, geblendet oder noch gerade angestrahlt, plötzlich im Dunkeln stehengelassen. Die Scheinwerferkegel ändern jeder einzelne ihre Position nicht. Man hat es mit einer Inszenierung zu tun, bei der man nur beiläufig die Zugfahrt hört. Die Lichtinszenierungen genügen sich selber.
Lagerbeleuchtung, Theaterlicht und Flutlichtanlagen wie in Stadien kommen in den Sinn. Mehr noch als das Licht erzeugt das Erlöschen eines Scheinwerfers die Aufmerksamkeit. Gebäude- ecken und Asphalt, irgendein Ort oder Mensch, der gerade noch im Licht war, fällt zurück in seine Anonymität und war doch für die Zeit seiner Beleuchtung besonders. 38.028.797.018.963.968 fügt sich ein, unscheinbar kaum als Kunst wahrnehmbar, denn als irritierende Maßnahme in eine Situation, die genauso vielgesichtig ist, wie die Arbeit von Siegrun Appelt aufgefasst werden kann. Sie nimmt insofern eine subversive Stellung als Kunst im öffentlichen Raum ein, als die Irritation, die sie auslößt im Affirmativen liegt und gleichzeitig das zeitgeistig Schnelle durch die ihr eigene Langsamkeit unterläuft. Das Maag-Areal ist und war immer nutzungsorientiert angelegt. Jetzt ist es pittoresker Hintergrund für zeitgeistiges Wirtschaften. Beobachten, beo-bachtet werden, dazugehören oder nicht. All dies schwingt mit als Atmosphäre auf dem Maag-Areal. Es soll ab 2008 einem neuen Stadtteil weichen. Ein Geschichtsraum für Zürich im wörtlichen und übertragenen Sinne. Eine Lichtinstallation die präzis offen, lockend, verheißungsvoll und unromantisch ist, begleitet den aufmerksamen wie auch den desinteressierten Pas-santen. Entziehen kann man sich der Installation auf dem Areal nicht, genauso wenig wie den kommenden Veränderungen.

(Axel Jablonski)



Musik als permanente Evolution

ÜBER DIE KLANGINSTALLATION VON MARTIN SIEWERT UND MARTIN BRANDLMAYR BEIM KUNSTPROJEKT URBAN IM MAAG AREAL/ZÜRICH

Klangwellen: Leicht vibrierende, langgezogene Töne, die sich in den Raum ergießen, von den Wänden reflektiert werden, unterschiedliche Filterpro- zesse durchlaufen und dabei fast unmerklich ihren klangfarblichen Charakter ändern. Granulare Soundpartikel, die sich zu einer akustischen Doppelhelix verketten und ziel- und absichtslos durch das Environment irrlichtern. Dann wiederum: Akustische Phänomene, die wie das ferne Echo hoher Glockentöne klingen, fein abgestufte Intensitätsdifferenzen, subliminale akustische Phänomene an der Peripherie der Wahrnehmung, unterbrochen von aggressiv bohrendem Schnarren. Hier wird kein musikalisches Drama aufgeführt, sondern ein evolutiver Prozeß getriggert: Klänge, die von verschiedenen CD-Playern abgesandt werden, verbinden sich zu immer wieder neuen Amalgamen, die Asynchronität geloopter Fertigteilbausteine ermöglicht die permanente Permutation.
Zwar behauptet die Klanginstallation von Martin Siewert und Martin Brandlmayr im Rahmen des multimedialen Kunstprojektes “Urban“ auf dem postindustriellen Maag-Areal in Zürich erfolgreich ihre ästhetische Autonomie, doch sie ist kein solipsistisches Ausgrenzungs- und Abschottungsspektakel. Das Klicken und Klacken der Schuhe von Passanten, die die Halle durchqueren, wird zum integralen Bestandteil der Assemblage: Rhythmisches Interpunktionszeichen, aleatorisches Störmanöver, Hier und Jetzt des nicht steuerbaren Alltagsgeschehens. Und die Chiaroscuro-Lichtregie von Siegrun Appelt - die Hell-Dunkel-Effekte, die graduellen Variationen der Leuchtkraft, die wechselnden visuellen Markierungen unterschiedlicher Zonen und Segmente des Areals – interagiert auf subtile Weise mit dem Klanggeschehen. Manchmal scheint es, als ob ein Dieu caché einen Schalter umlegt und das fluktuierende optisch-akustische Environment in eine andere Seinsfalte, ein differentes existentielles Paradigma katapultiert: Instabilität der Symmetrie, Zeichensetzung im metasprachlichen Raum der irritierenden Kontingenzen.
Oft scheint die Klanginstallation von Siewert/ Brandlmayr Töne, Geräusche, abstrakte akustische Signifyer hervorzubringen, die vertraut erscheinen: das Rumpeln von schwerem Gerät in einer industriellen Fertigungshalle, das obszöne Fauchen einer Dampfturbine, das weiße Rauschen übereinandergeschichteter Klang-Signale aus den Eingeweiden einer entfesselten Maschinenwelt. Man glaubt darin eine beinahe romantische Reminiszenz an ein prä-digitales Zeitalter der mahlenden Kolben und der ratternden Motoren herauszuhören.
Doch es handelt sich nicht um Mimesis, sondern um klangliche Approximation. Und gerade die minimale Differenz, die die synthetisierten akustischen Partikel von der analogen Geräuschproduktion einer schon historisch gewordenen Epoche des Kapitalismus trennt, produziert eine Desorientierung, die vielleicht dem Begriff des Unheimlichen entspricht, wie ihn Freud definiert hat, als „jene Art des Schreckhaften, welches auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht.“
Martin Siewert und Martin Brandlmayr gehören zu jener Generation von Klangexploratoren, die seit den neunziger Jahren, jenseits von Genres und stilistischen Dogmen, an einer neuen Bewertung und Gewichtung akustischer Parameter arbeiten. In dem internationalen Geflecht der undogmatischen Soundsucher bildet Österreich mit Ensembles wie Efzeg, Trapist, Radian und Musikern wie dem Trompeter Franz Hautzinger, dem Laptopspieler-Christian Fennesz, dem Bassisten Werner Dafeldecker und dem Turntable-Virtuosen Dieb 13 eine zahlenmäßig starke und ästhetisch markante Community. Es geht, wie Martin Siewert sagt, „um die avancierten Ausdrucksformen von instrumental codiertem Material.“ Um eine Musik, die nicht mehr der Linearität und den Narrativen der herkömmlichen Komposition verpflichtet ist, sondern einer Ästhetik der Schichtung, der psychoakustischen Stratifizierung, und der im Loop sich abbildenden Recognition Patterns.` Um eine Klangforschungsleistung, die Töne nicht mehr in erster Linie als Module in funktionsharmonischen Zusammenhängen wahrnimmt, sondern ihnen einen Eigenwert belässt, ein langes Ein- und Ausschwingen ermöglicht. Man kann Elemente dieser analog/digitalen Mischmusik auf die Zufallsoperationen und Soundmanipulationstechniken von John Cage zurückführen, auf die Strategien der Bewusstseinsschärfung von Ensembles wie AMM, auf die zellular-evolutiven Motivagglomerationen von Minimalisten wie LaMonte Young und Terry Riley. Aber erst in Verbindung mit digitalen Prozessierungstechniken, mit Granular- und Resample-Features erhält sie jenen spezifischen Charakter, der sie als ästhetische Signatur einer Epoche im dialektischen Konflikt zwischen realen Residuen und virtuellen Spiegelwelten erlebbar macht.
Die Musik von Siewert, Brandlmayr und Co. unterwirft sich keiner Ideologie, die aus „Tendenzen des Materials“ (Adorno) apodiktische Festschreibungen zukünftiger Ästhetiken ableitet, sondern sie arbeitet undogmatisch aus der Fülle gegenwärtiger Möglichkeiten heraus. Sie ersetzt die geschichtsphilosophische Prognostik durch Synchronität, die ästhetische Teleologie durch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Sie will nicht unbedingt emphatisch die Zukunft erobern, so wie zahlreiche Projekte der Moderne des 20. Jahrhunderts, sondern die Gegenwart in einer Weise durchdringen, wie das bisher noch nie geschehen ist, und dabei ohne Schamröte auch auf „gesellschaftlich vernutztes“ Material (Adorno) zurückgreifen. In der Sprache des Dadaismus, schreibt der Komponist Bernhard Lang, sei es darum gegangen „Linearität aufbzubrechen, Synchronität einzuführen, den Zeitstrom umzudrehen und dabei eine neue Differenz und Intensität des Ausdrucks zu finden.“ Vielleicht erfasst dieses Programm auch einige Aspekte der Kunst von Siewert/ Brandlmayr und, im weiteren Sinne, der globalen Improv-, Glitch- und Laptop-Gemeinde. Denn die geheimnisvollen Tore des Unmöglichen können nur geöffnet werden, wenn es den Musikern gelingt, dem Illusionismus des Fortschritts abzuschwören, und die „akustischen Markierungen auf dem Körper der Dinge“ (Toni Negri) zu dechiffrieren.

(Thomas Mießgang)

www.kunsthallewien.at