Moderato cantabile (zum Buch von Marguerite Duras)

Interviews mit den Teilnehmern

Siegrun Appelt

Im Laufe des Lesens gibt es in meiner Vorstellung zwei Cafés. Zuerst, wenn der Mord passiert, sehe ich ein modernes Café im Stil der 80er Jahre, mehr ein Abendlokal zum Essen und Trinken. Später wandelt es sich in ein eher unscheinbares Lokal aus den 50er-Jahren, in eine Mischung aus Kaffeehaus und Kneipe. Im ersten Café wird im Hintergrund eine Bar aus dunklem Holz sichtbar, ansonsten ist es leer, und es gibt weder Tische noch Stühle. Auf der Seite zum Meer hin und nach vorne zur Straße hin hat das Lokal eine Glasfassade, die durch schmale Holzbalken unterteilt ist. Einige dieser rahmenlosen Glaselemente stehen offen, und auch die Tür, die sich optisch von den Glaselementen nicht unterscheidet, steht offen.
Zuerst gibt es den Blick vom Musikzimmer hinunter zum Café. Ich sehe den Platz vor dem Café und Leute, die herumstehen, vorerst noch im Tageslicht. Nachher, ich glaube, schon wenn Anne und ihr Sohn aus der Tür des Musikzimmerhauses kommen, ist es dunkel geworden. Nur im Café ist Licht, dadurch wirkt es hell erleuchtet. Auch der Dielenboden, ein dominantes Element in diesem Lokal, hat etwas Leuchtendes.
Wenn Anne über den Platz zum Café geht, folgt mein Blick ihrer Bewegung und nähert sich ebenfalls dem Café, bis sie schließlich davorsteht und nachsieht, was los ist. In meiner Vorstellung geht sie in dieser ersten Szene noch nicht in das Lokal hinein. Es gibt nur den Blick von außen nach innen durch die geöffneten Glaselemente. Im vorderen Bereich des Cafés liegt die tote Frau am Boden, einige Leute stehen herum. Im Hintergrund ist die Bar, weiter hinten verliert sich alles im Nichts, im Dunkel.

Am nächsten Tag, wenn Anne wiederkommt, um ihre Nachforschungen anzustellen, ist es bereits ein anderes Café. Es steht am selben Ort und hat einen ähnlichen Grundriss. Die beiden vorderen Raumecken dieses Cafés, rechts und links vom Eingang, sind abgerundet. Das sehe ich aber nur, wenn ich von außen komme, also, wenn Anne, vom Boulevard de la Mer kommend, zum Café geht, dann sind die Ecken leicht rund.

Das zweite Lokal hat einen grauen Linoleumboden, beigefarbene Wände mit gemalten grünen Streifen um die Fenster herum. Es gibt hier zwar keine durchgehende Glasfront mehr, dafür aber Fensterreihen mit schmalen, hohen Fenstern, die regelmäßig und in kurzen Abständen angeordnet sind. Durch die geschlossene Glastüre, die aus zwei übereinander liegenden Glaselementen besteht, sieht man die Männer, die Arbeiter kommen, im Hintergrund sind schattenhaft die Fabriken sichtbar. Draußen ist es sehr hell, als ob es neblig wäre, und über dem Nebel die Sonne, die durchscheint und fast blendet. So ein diffuses, blendendes, weißes Licht ist das.

Anne und Chauvin treffen einander zuerst an der Bar. Chauvin steht links von ihr, an der Ecke der Bar, eigentlich schon um die Ecke, Anne steht davor und die Wirtin, die irgendwie am Gespräch beteiligt ist, hinter der Bar, auf der ein schwarzes Radio steht. Beim nächsten Mal sitzen sie dann am Tisch gleich links neben der Bar. Es ist der einzige längliche Tisch im Lokal mit zwei Bänken, überall sonst sind Stühle und quadratische Tische, alle aus unbehandeltem Holz, einem hellen grauen Holz. Chauvin sitzt immer an derselben Stelle mit Blick zur Tür. Sie sitzt ihm anfangs gegenüber, mit dem Rücken zur Tür, später dann neben ihm.

Anne hat lange schwarze Haare, ist schlank, zierlich und sehr blass. Sie trägt elegante Kleidung in dunklen Blautönen und Weiß. Monsieur Chauvin, ein eher großer Mann, hat brünette, leicht rötliche Haare. Er ist ein heller Typ mit ein paar Sommersprossen und einem beige-grauen T-Shirt oder Hemd. Wenn die Wirtin den Wein einschenkt, ist es wie in einem close-up der Bewegung: Sie steht am Tisch, und ich sehe die Karaffe in ihrer Hand, mit der sie die Gläser füllt.

Immer, wenn über den Mord gesprochen wird, taucht das erste Café wieder kurz auf. Ich stehe dann als Betrachterin im Lokal, vor der toten Frau, die da ganz alleine liegt, es sind kaum noch Leute da. Dieser Blick, der in meiner Erinnerung/Vorstellung immer wieder auftaucht, ist nun von innen her auf die Glasfront, die Tür gerichtet, vor der die Tote liegt. Hinter mir ist die Bar, rechts von mir unterhalten sich zwei Männer. Die Tür und die Glaselemente sind geschlossen. Das Lokal liegt nicht mehr ebenerdig, sondern man geht zwei, drei Stufen hinunter.

Das Klavierzimmer befindet sich im vierten oder fünften Stock in einem der zurückversetzten Nebenhäuser. Es gibt fast keine Möbel in diesem Raum, nur das Klavier und den einfachen Holzstuhl, auf dem die Mutter sitzt. Die Mutter sitzt im Hintergrund beim Fenster, der Junge am Flügel. Er kann zum Fenster hinaussehen, aber das ist nicht dasselbe Fenster, an dem die Mutter sitzt. Er sieht nur Himmel, keinen blauen Himmel und auch keine Wolken, einfach einen hellen Himmel. Das Zimmer hat einen Holzparkettboden, weiße Wände und eine Tür, die ins Nebenzimmer führt. Es könnte sogar ein Durchgangszimmer sein, es ist aber trotzdem ein großes Zimmer. Die Musiklehrerin ist immer in Bewegung, sie steht manchmal beim Klavier neben dem Jungen oder hinter ihm in der Nähe der Wand gegenüber den Fenstern. Sie wendet sich oft zur Mutter und richtet ihre Worte mehr an die Mutter als an das Kind.